Kirche (Bild Viktor Hurr)

Tafel 8 - Leistungen der Deutschen – wirtschaftliche Blüte

Der Aufbau einer Existenz war für die Siedler in den ersten Jahren sehr schwer: Das raue Klima und der anders beschaffene Boden brachten Missernten, Überfälle von Nomadenstämmen forderten Opfer.

Mit viel Gottvertrauen, Fleiß, Sparsamkeit und Opferbereitschaft konnten die Kolonisten diese harte Anfangszeit überwinden und im Laufe der folgenden Jahrzehnte einen außergewöhnlichen wirtschaftlichen Aufschwung bewerkstelligen. Die kulturelle und kommunale Autonomie als Teil der Privilegien ermöglichte den Kolonisten, das von ihnen gewünschte Eigenleben zu führen:

  • Sie wählten Schulzen oder Oberschulzen, die der Gemeindeverwaltung vorstanden und die untere Gerichtsbarkeit ausübten.
  • Deutsch war Verwaltungs-, Gerichts- und Umgangssprache.
  • Sie bauten ihre eigenen Schulen mit Deutsch als Unterrichtssprache.
  • Sie errichteten Kirchen nach ihren Vorstellungen, und der Gottesdienst wurde in deutscher Sprache gehalten.
  • Sie pflegten in Familie und Dorfgemeinschaft die mitgebrachten Mundarten, Sitten und Gebräuche.

Der Kinderreichtum der deutschen Siedler führte schon in der zweiten Generation zu Landmangel. Daher wurde vom Privileg des Zukaufs von Land ausgiebig Gebrauch gemacht. Neue Ländereien in anderen Teilen des russischen Zarenreiches wurden ausfindig gemacht. So kamen zu den ursprünglichen 304 Mutterkolonien 3.232 Tochterkolonien hinzu.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 lebten 1,7 Millionen Deutsche in Russland mit einem Landbesitz von 13,4 Millionen Hektar. Nur 4,4 Prozent der Deutschen lebten in Städten.

Aufgrund ihrer Leistungen genossen die deutschen Einwanderer in ganz Russland hohes Ansehen. Ihre Zuverlässigkeit und Ordnungsliebe, ihr Fleiß und ihre Sparsamkeit wurden von Russen, Ukrainern, Georgiern, Kasachen und anderen Völkern sehr geschätzt.

In dieser Atmosphäre der Anerkennung und Wertschätzung konnten die deutschen Kolonisten in den ersten 100 Jahren nach ihrer Ansiedlung in Wohlstand und ohne Probleme mit ihren Nachbarn leben.

Landwirtschaft und Viehzucht sowie im Süden Weinbau waren die Haupterwerbszweige. Die Produkte waren von bester Güte und vor allem in den Städten sehr geschätzt.

Handwerk und Industrie entfalteten sich zunächst im land- und hauswirtschaftlichen Bereich. Aufgrund der hervorragenden Qualität eroberten die Erzeugnisse bald den gesamten russischen Markt. So deckten im Jahr 1911 die deutschen Großbetriebe zur Herstellung landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte 6,2 Prozent des gesamten russischen Bedarfs.

Auch in den Städten wie Moskau, St. Petersburg, Saratow, Odessa, Tiflis, Omsk und Taschkent, wo nur ein geringer Teil der Deutschen lebte, prägten sie das wirtschaftliche und kulturelle Leben. Ihr Einfluss reichte von Gesetzgebung, Staatsführung und Militärwesen bis hin zu Wissenschaft und Kunst, Architektur, Technik und Wirtschaft.

Bis heute erinnern die St. Michaels- und die St. Peter- und Paul-Kirche in St. Petersburg oder die „Deutsche Vorstadt“ in Moskau, der „Lutherische Hof“ in Odessa und die „Deutsche Straße“ in Saratow an das Wirken der Deutschen.

Getreidespeicher in Marxstadt, Wolga.
Militärlazarett in Helenendorf, Kaukasus.