Viktor Hurr: Arbeitslager

Tafel 13 - "Trudarmee" – Zwangsarbeitslager

TRUDARMEE (Arbeitsarmee; russ. trudarmija)
ist ein euphemistischer Terminus für ein besonderes System der Zwangsarbeit, das in der Sowjetunion in den Jahren 1941–1946 vor allem für russlanddeutsche Jugendliche, Männer und Frauen aufgebaut wurde.
Nach der Liquidation der ASSR der Wolgadeutschen, der Verbannung der deutschen Minderheit in den asiatischen Teil des Landes sowie ihrer weitgehenden Entrechtung nach dem Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der Sowjetunion vom 28. August 1941, schuf man für die Deutschen des Landes eine neue Lagerkategorie – eine Mischform aus rekrutierten Bauarbeitern und einem Strafgefangenen, wobei sie in der Lagerstatistik keine Erwähnung fanden.

Merkmale der Zwangsarbeitslager:

  • Unterbringung in von Stacheldraht umgebenen Baracken;
  • Arbeitseinsatz und Freizeit unter militärischer Bewachung;
  • Essens- und Verpflegungsrationen nach den Normen des GULag;
  • Verbot jeglicher nicht gebilligter Kontakte mit der zivilen Bevölkerung.

Die Aushebung durch örtliche Kriegskommissariate des Verteidigungsministeriums und ihre Unterstellung unter die Kriegsgerichtsbarkeit verlieh dieser Kategorie Züge einer militärischen Rekrutierung: Eigenmächtiges Verlassen des zugewiesenen Einsatzortes wurde nicht als Flucht, sondern als Desertion bezeichnet und entsprechend geahndet.

Beschluss des Staatlichen Verteidigungskomitees der UdSSR vom 10. Januar 1942 über die Richtlinien für den Einsatz der deutschen Umsiedler im wehrpflichtigen Alter von 17 bis 50 Jahren (Auszug):

1. Alle deutschen Männer im Alter von 17 bis 50 Jahren, die für körperliche Arbeit tauglich und in die Gebiete Nowosibirsk, Omsk, die Regionen Krasnojarsk und Altaj und in die Kasachische SSR ausgesiedelt worden sind – etwa 120.000 Personen –, werden für Arbeitskolonnen für die gesamte Dauer des Krieges mobilisiert.

5. Das NKWD der UdSSR wird beauftragt, die Sachen in Bezug auf die in den Einberufungs- oder Sammelstellen zum Abtransport nicht erschienenen Deutschen sowie in Bezug auf die in Arbeitskolonnen Befindlichen für Disziplinverletzung und Arbeitsverweigerung, Nichterscheinen trotz Mobilisierungsbefehl und für Desertion aus den Arbeitskolonnen im Sonderkollegium des NKWD der UdSSR zu verhandeln und in den härtesten Fällen die Höchststrafe zu verhängen.

Beschluss des Staatlichen Verteidigungskomitees der UdSSR vom 14. Februar 1942 über die Mobilisierung deutscher Männer im wehrpflichtigen Alter von 17 bis 50 Jahren mit ständigem Wohnsitz in den Gebieten, Regionen, autonomen und Unionsrepubliken (Auszug):

1. Alle deutschen Männer im Alter von 17 bis 50 Jahren, die für körperliche Arbeit tauglich sind und ihren ständigen Wohnsitz in den Gebieten Archangelsk, Wologda, Iwanowo, Molotow, Penza, Rjazan, Swerdlowsk, Tambow, Tschita, Tschkalow, Jaroslawl, Kirow, Nowosibirsk, Omsk, Kujbyschew und Irkutsk, den Regionen Primorje, Chabarowsk, Altaj und Krasnojarsk, der Baschkirischen und Mordwinischen ASSR, der ASSR der Mari, der Tatarischen, Udmurtischen, Tschuwaschischen und Burjat-Mongolischen ASSR, der Komi ASSR, der Kasachischen, Turkmenischen, Tadschikischen, Kirgisischen und Usbekischen SSR haben, werden für Arbeitskolonnen für die gesamte Dauer des Krieges mobilisiert und dem NKWD der UdSSR zum Einsatz beim Bau von Eisenbahnen zugewiesen.

Michael Disterheft: In der Arbeitsarmee.
Viktor Hurr: Wachturm im Arbeitslager

Es wurden schon keine Einzelgräber mehr ausgehoben, sondern lange Gräben, wie Schutzgräben. Sie wurden immer länger. Spät am Abend lud man die Leichen wie Baumstämme auf Schlitten und fuhr sie in ein Massengrab, jeweils bis 20 Tote. Die Leichen wurden nackt, ohne Namen, nur mit einem Brettchen mit ihrer Nummer an den Füßen wie ein verendetes Vieh eingescharrt. Die Menschen wurden zu Schatten. Auch mein Bruder Andrej. Er kam ins Lagerlazarett. Auf den Pritschen krümmten sich jämmerliche Geschöpfe. Der Hunger entzog den Menschen ihre Identität, verwandelte sie in nicht mehr unterscheidbare Skelette mit gelber Haut und nackten Schädeln. Andrej bat mich, ihn auf die andere Seite umzudrehen. Er lag auf der Pritsche, ohne Matratze, ohne Decke. Die Wattedecke, mit der er sich zudeckte, stank erbärmlich. Ich drehte seinen leichten, fast trockenen Körper um und erschrak: Durch die wund gelegenen Stellen sah ich seine weißen Knochen. Am Morgen darauf war mein Bruder Andrej tot. Für mich hatte die Welt von dieser Stunde an ein anderes Gesicht bekommen.”

Gottlieb Eirich
Michael Disterheft: Los, los!
Iwdellag

Beschluss des Staatlichen Verteidigungskomitees der UdSSR vom 7. Oktober 1942 über eine zusätzliche Mobilisierung von Deutschen für die Volkswirtschaft der UdSSR (Auszug):

  1. Deutsche Männer im Alter von 15 bis 55 Jahren und tauglich für körperliche Arbeit (…) werden zum Einsatz in den Arbeitskolonnen für die gesamte Dauer des Krieges zusätzlich mobilisiert.
  2. Zusätzlich wird eine Mobilisierung von deutschen Frauen ab 16 bis einschließlich 45 Jahre zum Einsatz in Arbeitskolonnen für die gesamte Dauer des Krieges vorgenommen.
    Von der Mobilisierung sind schwangere deutsche Frauen und Frauen mit Kindern unter drei Jahren freizustellen.

Die ankommenden Arbeitskräfte wurden in sog. Bautrupps eingeteilt, die ihrerseits aus Kolonnen bis zu tausend Mann und letztere aus Brigaden unterschiedlicher Größe bestanden. An der Spitze der Arbeitskolonnen standen andersethnische Vorgesetzte und Politoffiziere.
Andere Zwangsarbeiter wiederum kamen in schon existierende Straflager als Ersatz für in kämpfende Truppen überstellte oder vorzeitig entlassene Häftlinge. Dort wurden sie getrennt von den übrigen Häftlingen und der freien Belegschaft untergebracht und eingesetzt.

Die Gesamtzahl der deutschen Zwangsarbeiter lag bei etwa 350.000, d. h., dass sich jeder Dritte aus dieser Volksgruppe während des Krieges in Arbeitslagern befand. Die Einberufungsquote lag für Männer bei 80 bis 90 Prozent, für Frauen bei etwa einem Drittel der entsprechenden arbeitsfähigen Jahrgänge. Für Frauen, die weniger als drei Kinder bzw. keines unter drei Jahren hatten, lag die Einberufungsquote bei nahezu 100 Prozent.

Die deutschen Familien waren für viele Jahre getrennt. Tausende von Kindern blieben ohne Aufsicht und Fürsorge. Viele von ihnen kamen in Kinderheime; sie erhielten andere Namen und konnten in der Folge ihre Eltern nicht mehr finden.

Insbesondere in den Jahren 1942 und 1943, als die Baustellen auf die Aufnahme dieser großen Anzahl von überwiegend bäuerlichen Häftlingen nicht vorbereitet waren, war die Sterblichkeit außerordentlich hoch. Sie trug genozidale Züge. So kam im Lager Wjatlag im Winter 1942 über ein Drittel der Lagerinsassen ums Leben. Selbst nach Statistiken des NKWD waren zum 1. Januar 1943 rund 26 Prozent der Arbeitsarmisten arbeitsunfähig. Eine verlässliche Zahl der Opfer lässt sich bislang nicht angeben; die Sterblichkeitsrate soll Hochrechnungen aus einzelnen Lagern zufolge nicht weniger als 20 Prozent betragen haben.