Wolgarepublik

Tafel 10 - Der Weg in die Katastrophe

1915: Pflichtbewusste und loyale Kolonisten aus Katharinenfeld im Transkaukasus als Soldaten der russischen Armee.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges

bedeutete für die Deutschen in Russland die erste Katastrophe in ihrem Bestand als Volksgruppe. Während 300.000 deutsche Männer in die russische Armee eingezogen wurden, setzte man die Deutschen zu Hause schwersten Repressionen aus; so durfte in der Öffentlichkeit und in der Kirche nicht mehr Deutsch gesprochen werden. Es kam zu Ausschreitungen und Pogromen gegen die Deutschen.

Durch die „Liquidationsgesetze“ von 1915 wurden über 150.000 Wolhyniendeutsche, die im Frontbereich an der Westgrenze Russlands lebten, enteignet und nach Sibirien verschleppt.

Die Anwendung dieser Gesetze auf alle Deutschen westlich des Urals war bereits verfügt, kam aber wegen der bürgerlichen Februarrevolution (1917) und des Sturzes von Zar Nikolaus II. (1894–1917) nicht mehr zur Ausführung.

Oktoberrevolution und Folgen

Als am 7. November 1917 die Kommunisten unter Lenin und Trotzki die Macht an sich rissen, machten sie den Weg für Diktatur und Terror frei.

Während des Bürgerkrieges (1918–1922) wurden Tausende von Deutschen enteignet und ermordet. Viele Deutsche entschlossen sich unter diesen Umständen zur Auswanderung nach Nord- und Südamerika.

Eine weitere Maßnahme, von der viele Deutsche hart getroffen wurden, war die entschädigungslose Enteignung von Grund und Boden sowie die Trennung der Kirche vom Staat und der Schule von der Kirche.

1930er Jahre: Lehrer und Schüler in Marienheim, Ukraine.

Vorübergehende Erleichterungen

Die verheerenden wirtschaftlichen Folgen dieser rigorosen Enteignungs- und Verfolgungspolitik zwangen die Kommunisten zu einem vorübergehenden Kurswechsel. Die „Neue Ökonomische Politik“ (1921–1928) brachte auch den Deutschen eine gewisse Erleichterung und Hoffnung auf eine bessere Zukunft, insbesondere durch

• die Wiederzulassung von Privatbetrieben in Stadt und Land
• und die Wiedereinführung der deutschen Sprache in den deutschen Schulen.

Vor allem die Gründung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (ASSRd-WD) im Jahr 1924 sowie die Bildung von insgesamt 16 eigenen deutschen Landkreisen und rund 3.000 Gemeinden in der Ukraine, auf der Krim, im Kaukasus, im Südural, in Westsibirien, Kasachstan und Kirgisien mit deutscher Amtssprache wurden als Zeichen für eine Normalisierung gewertet.

Verschärfung der Repressionen

Unmittelbar auf diese Jahre der Hoffnung folgte jedoch von 1928 bis 1932 die sogenannte Entkulakisierung und Kollektivierung. Daraus resultierte die endgültige Vernichtung des freien Bauerntums, indem nach der Enteignung des Großgrundbesitzes (1917) jetzt auch die mittelständischen Bauern enteignet und in den hohen Norden Russlands, nach Sibirien und Kasachstan deportiert wurden.

Da die Deutschen in der Mehrzahl mittelständische Bauern waren, traf sie diese Maßnahme besonders hart. Gleichzeitig begann die Verfolgung der Kirchen aller Konfessionen, mit der Folge, dass die meisten Geistlichen und Lehrer aus den deutschen Siedlungen verhaftet, verschleppt oder exekutiert wurden.

Mit der Machtergreifung Hitlers in Deutschland 1933 verstärkte sich der Verdacht der Kollaboration, dem die Russlanddeutschen ausgesetzt waren, zu einem wahren Kesseltreiben. So wurden 1934 alle Russlanddeutschen vom sowjetischen Geheimdienst (GPU) für eine Deportation im Falle eines Konfliktes mit Deutschland listenmäßig erfasst. Außerdem wurde die erst in den 20er-Jahren zugestandene administrative und kulturelle Autonomie der deutschen Landkreise und Gemeinden außerhalb der Wolgarepublik aufgehoben und Deutsch als Unterrichtssprache abgeschafft (1936–1938).

Damit war auch das kulturelle Rückgrat der Deutschen gebrochen, und bis heute gibt es keine deutschsprachigen Schulen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.