Viktor Hurr: Neuer Wohnort in Kasachstan.

Tafel 15 - Verbannung auf „ewige Zeiten“ – Sonderkommandantur

Rund 350.000 Deutschen, vor allem in der Ukraine, blieb das Schicksal der Deportation zunächst erspart, weil die deutschen Truppen so schnell vorgestoßen waren, dass den sowjetischen Behörden keine Zeit zur Deportation geblieben war.

Diese Menschen zogen dann 1943/44 mit der zurückweichenden deutschen Front in langen Trecks westwärts. Sie wurden im Wartheland bei Posen (Poznań) und Litzmannstadt (Łódź) angesiedelt und erhielten im Wege der Einzeleinbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit.

Nach Kriegsende wurden sie von sowjetischen „Repatriierungskommandos“, die überall nach Russlanddeutschen fahndeten, erfasst und in die Sowjetunion verschleppt, wo sie „wegen Verrats der sozialistischen Heimat“ zu lebenslanger Verbannung und Zwangsarbeit verurteilt wurden.

Insgesamt wurden in den Jahren 1941 bis 1945 1,1 Millionen Deutsche aus dem europäischen Teil der Sowjetunion in Gebiete östlich des Urals deportiert. Selbst die schon in Sibirien und im asiatischen Teil der UdSSR lebenden Deutschen wurden in Zwangsarbeitslager verschleppt und unter „Sonderkommandantur“ gestellt.

Trotz Kriegsende im Mai 1945 änderte sich das Schicksal dieser Geschundenen nicht.

Im Gegenteil: Mit dem Dekret des Obersten Sowjets vom 26. November 1948 wurden die Deportierten auf „ewige Zeiten“ den Deportierungsorten zugewiesen. Sie wurden unter Sonderkommandanturaufsicht gestellt; bei unerlaubtem Verlassen dieser Orte drohte ihnen Zwangsarbeit bis zu 20 Jahren. Personen, die ihnen bei der Flucht halfen, wurden zu fünf Jahren Freiheitsentzug verurteilt. So fristeten die Russlanddeutschen auch nach dem Krieg ein Leben als Arbeitssklaven, als Ausgestoßene, die nicht einmal eines Personalausweises würdig waren, sondern lediglich einen „Deportierungsschein“ bekamen, der sie gegenüber jedermann als „Faschisten“ abwertete. Deutsch konnte ausschließlich in der Familie gesprochen werden, die Kinder durften nur russische Kindergärten und Schulen besuchen; eine Weiterbildung war völlig ausgeschlossen.

Im Flüchtlingstreck von der Ukraine in den Warthegau.

Bei der Zwangsarbeit 1946 in Orsk, Gebiet Orenburg/Ural (Russland).
In der Verbannung 1954 in Beresniki, Gebiet Perm/Nordural.

Im Bergbau Kimpersai in Batamschinsk, Gebiet Aktjubinsk/Kasachstan.

Zwecks Festigung des Siedlungsregimes für die vom Obersten Machtorgan der UdSSR während des Zweiten Weltkrieges zwangsausgesiedelten Tschetschenen, Karatschajer, Inguschen, Balkaren, Kalmücken, Deutschen, Krimtataren u. a. sowie in Anbetracht der Tatsache, dass bei ihrer Verschickung die Geltungsdauer ihrer Aussiedlung nicht bestimmt worden ist, wird festgelegt, dass die o. g. Personen in diese fernen Regionen auf ewig ausgewiesen sind; ihnen wird das Recht auf Rückkehr in die früheren Siedlungsorte aberkannt.

Auszug aus dem Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets
der UdSSR vom 26. November 1948

In der Öffentlichkeit wurden die Deutschen totgeschwiegen und als Volksgruppe ignoriert, obwohl sie mit etwa zwei Millionen Menschen unter den 100 Nationalitäten der UdSSR die 14. Stelle einnahmen.

In dieser entwürdigenden Trostlosigkeit mussten die Russlanddeutschen noch zehn Jahre nach Ende des II. Weltkrieges schuldlos ihr Dasein fristen.

Erst am 10. März 1955 erhielten Sondersiedler in der UdSSR endlich ihre Pässe, die ihnen seit Kriegsende vorenthalten worden waren.

Drei Monate nach dem Besuch des ersten Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, in Moskau im Spätsommer 1955 folgte aus Moskau der Ukas vom 13. Dezember 1955, mit dem die Meldepflicht bei der Kommandantur für Deutsche und ihre Familien aufgehoben wurde, die immer noch in Sondersiedlungen festgehalten wurden.

Das war theoretisch eine Verbesserung ihrer Rechte. In der Praxis aber blieb ihre Lage auch mehr als zehn Jahren nach Kriegsende und über 14 Jahre seit ihrer Verbannung weiterhin trostlos:

  • Es vergingen noch Monate, bis der Ukas in ihren Verbannungsorten bekannt wurde.
  • Sie erhielten nichts von ihrem konfiszierten Vermögen zurück.
  • Eine Wiederherstellung der Autonomie oder eine Rückkehr in ihre Heimatorte an der Wolga, im Kaukasus, auf der Krim oder in der Ukraine blieben ihnen weiterhin verwehrt.
  • Auswanderungen nach Deutschland bewegten sich alljährlich – außer 1951, als 1.721 Deutsche ausreisen durften – in der Nähe der Nullgrenze oder fanden überhaupt nicht statt.