Karten: © mr-kartographie, Gotha

Tafel 12 - Deportation

1941 erfuhren die Russlanddeutschen stärker als jemals zuvor, dass sie trotz aller Beteuerungen des Systems nicht zu den gleichberechtigten Völkern der Sowjetunion gehörten.

Das wurde vor allem durch den Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der Sowjetunion vom 28. August 1941 „Über die Übersiedlung der Deutschen, die in den Wolgarayons wohnen“ dokumentiert. Drei Jahre nach dem „Großen Terror“ und zwei Monate nach Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges am 22. Juni 1941 wurden die Wolgadeutschen darin ohne jeden Grund der Kollaboration mit dem angreifenden Deutschland bezichtigt.

„Die hysterische Angst vor Spionage und feindlichen Fallschirmjägern, die sich nach dem Angriff Hitler-Deutschlands entwickelt hatte, ließ Russlanddeutsche und deutschsprachige Emigranten leicht in den Verdacht geraten, Agenten der Gestapo oder der Abwehr zu sein. Dadurch kam es in den ersten Kriegswochen zu zahlreichen Verhaftungen.“ (Dr. Viktor Krieger in der Informationsschrift der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland „Deutsche aus Russland gestern und heute“)

Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der Sowjetunion „Über die Übersiedlung der Deutschen, die in den Wolgarayons wohnen“ (Auszug) Moskau, Kreml, 28. August 1941

Laut genauen Angaben, die die Militärbehörden erhalten haben, befinden sich unter der in den Wolgarayons wohnenden deutschen Bevölkerung Tausende und aber Tausende Diversanten und Spione, die nach dem aus Deutschland gegebenen Signal Explosionen in den von den Wolgadeutschen besiedelten Rayons hervorrufen sollen. Über das Vorhandensein einer solch großen Anzahl von Diversanten und Spionen unter den Wolgadeutschen hat keiner der Deutschen, die in den Wolgarayons wohnen, die Sowjetbehörden in Kenntnis gesetzt, folglich verheimlicht die deutsche Bevölkerung der Wolgarayons die Anwesenheit in ihrer Mitte der Feinde des Sowjetvolkes und der Sowjetmacht.

Falls aber auf Anweisung aus Deutschland die deutschen Diversanten und Spione in der Republik der Wolgadeutschen oder in den angrenzenden Rayons Diversionsakte ausführen werden und Blut vergossen wird, wird die Sowjetregierung laut den Gesetzen der Kriegszeit vor die Notwendigkeit gestellt, Strafmaßnahmen gegenüber der gesamten deutschen Wolgabevölkerung zu ergreifen.

Zwecks Vorbeugung dieser unerwünschten Erscheinungen und um kein ernstes Blutvergießen zuzulassen, hat das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR es für notwendig befunden, die gesamte deutsche in den Wolgarayons wohnende Bevölkerung in andere Rayons zu übersiedeln, wobei den Überzusiedelnden Land zuzuteilen und eine staatliche Hilfe für die Einrichtung in den neuen Rayons zu erweisen ist.

Viktor Hurr: Deportation
Alexander Wormsbecher: Der Erlass vom 28. August 1941

Der Deportationserlass vom 28. August 1941 ist zwar der bekannteste, aber bei weitem nicht der einzige. In einer Zusammenstellung kommt der russlanddeutsche Historiker Viktor Herdt auf rund 35 Erlasse, Verordnungen, Befehle und Beschlüsse, mit denen die Deportation der Russlanddeutschen mit größter Akribie geregelt wurde.
Betroffen waren schließlich alle Deutschen in der Sowjetunion, sieht man von denjenigen ab, die in dem Teil der Ukraine lebten, der damals von Hitlers Truppen besetzt war. Doch auch diese erlitten nach zwei Jahren relativer Ruhe ein Schicksal, das genauso tragisch war wie das ihrer Landsleute.

All diese Menschen wurden ohne jede Schuld zu Opfern. Ihr einziges Verbrechen bestand darin, dass sie Deutsche waren. Das genügte, um sie Tod und Verderben auszusetzen.

Laut Angaben des KGB der UdSSR wurden bis zum 25. Dezember 1941 894.626 Deutsche in der Sowjetunion zwangsweise umgesiedelt, die meisten aus der ASSR der Wolgadeutschen mit 374.717 Personen.

Aus ihren Siedlungsgebieten im europäischen Teil der Sowjetunion wurden sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in die unwirtlichsten Gegenden des Riesenreiches im Osten und hohen Norden gebracht.

Bereits auf dem Weg dorthin, vor allem aber in den Zwangsarbeitslagern der sogenannten „Trudarmee“ starben Hunderttausende Russlanddeutsche einen viel zu frühen und grausamen Tod, erlagen der Kälte und dem Hunger, mussten Schwerstarbeit leisten, bis sie mit ihren Kräften am Ende waren.

Territoriale Verschiebungen nach 1941

Vor dem II. Weltkrieg wohnten nur etwa 20 Prozent der Russlanddeutschen im asiatischen Teil der Sowjetunion. 50 Jahre später waren sie verstreut, vor allem in Kasachstan und Kirgisien, in Sibirien und dem Ural anzutreffen.