Tafel 3 – Deutsche wandern nach Russland aus

Es waren keine Abenteurer, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und im 19. Jahrhundert ihre Heimat verließen und nach Russland zogen. Es waren durchweg ehrsame und fleißige Bauern und Handwerker. Als Gründe für die Auswanderung werden genannt:

  • wirtschaftliche Not und Missstände in Deutschland infolge von Kriegen (Siebenjähriger Krieg und Napoleonische Kriege);
  • Heeres- und Frondienste für die eigenen Fürsten und die fremden Mächte;
  • politische Unterdrückung durch die eigenen Fürsten und die fremde Besatzung;
  • Missernten und Hunger;
  • sowie Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit.

Die Ausreise erfolgte in mehreren Strömen, von denen die wichtigsten genannt seien:

  • Der Zug an die Wolga ab 1764 (unter Zarin Katharina II.) auf dem Seeweg über die Nord- und Ostsee und St. Petersburg. Die 1764 bis 1767 nach Russland ausgewanderten Kolonisten siedelten auf beiden Seiten der unteren Wolga (Bergseite/Westufer und Wiesenseite/Ostufer) in 104 Kolonien. Davon waren 31 katholisch und über 60 evangelisch. Am 29. Juni 1764 wurde die erste deutsche Kolonie Nischnaja Dobrinka gegründet. 1914 gab es bereits 192 deutsche Dörfer, 152 evangelische, 38 katholische und zwei gemischte.

Zarin Katharina II. (1762–1796) hatte am 22. Juli 1763 ein Manifest erlassen, in dem Ausländer eingeladen wurden, sich in Russland anzusiedeln. Die reformfreudige Monarchin – die erste Deutsche auf dem Zarenthron – wollte hauptsächlich mit deutschen Bauern und Handwerkern den wirtschaftlichen Aufschwung ihres noch in der Leibeigenschaft verharrenden Landes fördern.
Um den Erfolg ihres Aufrufes zu garantieren, räumte sie den Ansiedlungswilligen großzügige Privilegien ein:

  • unentgeltliche Zuweisung unbebauten Landes,
  • Erlaubnis zum Kauf weiterer Grundstücke,
  • Steuerfreiheit bis zu 30 Jahre,
  • Gewerbefreiheit,
  • Befreiung vom Militärdienst,
  • freie Religionsausübung,
  • kulturelle Autonomie,
  • kommunale Selbstverwaltung,
  • völlige Freiheit zum Verlassen des Landes,
  • Reisebeihilfen.
  • 1802–1859 wanderten fast 110.000 Deutsche in das Schwarzmeergebiet aus. Auf der Donau ging es zum Schwarzen Meer, auf die Krim und in den Kaukasus. Die Besiedlung begann unter Katharina II. und fand unter Zar Alexander I. ihren Höhepunkt. Der erste größere Einwanderungsstrom in das Schwarzmeergebiet fand zwischen 1789 und 1797 statt, der zweite große Schub folgte zwischen 1804 und 1824.
  • Ab 1789 wanderten mennonitische Siedler aus Westpreußen in die südrussischen Gebiete ein und gründeten Mutterkolonien, unter anderem im Gebiet Saporoschje. Aus insgesamt 204 deutschen Mutterkolonien entstanden im Schwarzmeergebiet später über 1.800 Tochterkolonien.
  • Eine besondere Gruppe bildeten die Wolhyniendeutschen, die sich zu verschiedenen Zeiten im 19. Jahrhundert in polnisch-russischen Grenzregionen (in den Gebieten um Rowno, Schitomir, Nowogradwolynsk) niederließen. 1816 bis 1861 wanderten Westpreußen, Rheinländer, Pfälzer und Schwaben nach Wolhynien aus.
  • Bis zum Jahre 1871 stieg die Zahl der Deutschen in diesen Regionen auf etwa 28.560, die in ca. 139 Kolonien lebten. 1889 waren es bereits 102.139 Siedler.

Nach oft monatelangen, entbehrungsreichen Reisen kamen die Siedler an ihren Bestimmungsorten an. Aus dem Nichts entstanden ihre Siedlungen, streng nach Konfession getrennt und oft nach den zurückgelassenen Dörfern und Städten der Heimat benannt. Die Siedler kamen vorwiegend aus Hessen und dem Südwesten Deutschlands – aus Baden, Württemberg, der Rheinpfalz und dem Elsass –, aber auch aus Danzig-Westpreußen und der Oberlausitz.